Formmeisterin der Psyche.

Zum Tode der Bildhauerin

Hilde Schürk-Frisch

Ennigerloh 23. Juni 1915 – Münster 25. März 2008

 

Von Dr. Elisabeth-M. Baxhenrich-Hartmann

 

Beharrlich in dem Bewusstsein, dass ihr Menschenbild im kulturellen Selbstverständnis des Abendlandes mit seinen antiken und christlichen Traditionen wurzelt, ist Hilde Schürk-Frisch in einer mehr als sieben Jahrzehnte währenden Schaffenszeit ihrem handwerklichen und künstlerischen Ideal treu geblieben. Entgegen der offiziellen Berufsbezeichnung »Bildhauerin« sind ihre Skulpturen, bis auf wenige Ausnahmen, gleichsam in einem archaischen Akt schöpferischer Ausdruckskraft in Ton geformt, in Gips modelliert und in Bronze gegossen, um die der menschlichen Existenz innewohnende Idee zur Anschauung zu bringen.

 

Beheimatet und verwurzelt in dem agrarisch geprägten wie industriell aufstrebenden Münsterland, das noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom Katholizismus des Kulturkampfes beeinflusst war, hatte sie das Glück, in eine weltoffene wohlhabende bürgerliche Familie hineingeboren zu werden. Diese ermöglichte ihr – für Mädchen und junge Frauen ihrer Generation noch die Ausnahme – nicht nur die gymnasiale Schulbildung, sondern auch Unterricht in Bildhauerei und ein anschließendes Studium an der Kunstakademie in München bei Prof. Bleeker und an der Hochschule für Bildende Kunst in Berlin bei Prof. Wynand.

 

Ihre akademische Ausbildung fiel in eine Zeit, in der sie zwar die handwerkliche Meisterschaft bildhauerisch-plastischen Gestaltens erwerben, kaum aber jene ästhetischen und philosophischen Fragestellungen problematisieren konnte, die schon vor dem ersten Weltkrieg und verstärkt in den Jahren der Weimarer Republik unter den bedeutendsten und produktivsten Malern und Bildhauern thematisiert wurden. Durch den politischen und ideologischen Terror verfemt und mit dem vernichtenden Verdikt ‚entartet’ aus den Akademien und Hochschulen, Museen und Kunstgalerien entfernt, wurde statt dessen einem am traditionellen Kunstgeschmack orientierten, hohlen Pathos verpflichteten, vordergründigen Menschenbild gehuldigt, das zur offiziellen Kunstdoktrin des Nationalsozialismus erklärt wurde.

 

Ihre künstlerische Begabung zeigte sich schon früh und fand bereits 1942 mit dem Kunstpreis Jung-Westfalen erste öffentliche Anerkennung. Die Eheschließung 1938 mit dem Juristen Dr. Josef Schürk und die Geburt dreier Töchter schenkten ihr nur für kurze Zeit privates familiäres Glück, das der frühe Kriegstod ihres Mannes 1945 erschütterte. Erst 29-jährig hatte sie nun als junge Witwe für sich und ihre Töchter zu sorgen und ihren Lebensunterhalt als freischaffende Bildhauerin zu verdienen, was materiell wie künstlerisch zur großen Herausforderung wurde.

 

In diesen Jahren formte sie ihre individuelle bildnerische Sprache, die in ihren Skulpturen in der Reduktion der Details, der expressiven Proportionen, Gesichter und Gesten einerseits, wie in der psychologischen Differenzierung andererseits Ausdruckskraft gewinnt. Ihr überregionaler Bekanntheitsgrad spiegelte sich in zahlreichen öffentlichen Aufträgen in und um Münster und in renommierten Kunstpreisen wie 1952 dem Karl-Ernst-Osthaus Preis des Westdeutschen Künstlerbundes und 1962 dem Kunstpreis des Kreises Beckum.

 

Mutter und Kind ist das große Thema dieser Jahre, welches ihr aus der eigenen Lebenssituation und frei von politisch-ideologischer Indoktrination zur Inspiration ihres künstlerischen Schaffens wurde, wie das Kind selbst, vereinzelt wie in der Gruppe, dessen kreatürliche Vollkom­menheit in der existentiellen Lebensspanne zwischen Verlassenheit und spielerischer Lebensfreude sie auf besonders intensive Weise zur Anschauung zu bringen vermochte.

 

Als Schwerpunkt ihrer Arbeiten bezeichnete sie den Menschen, dessen physische Existenz sich immer zugleich im Ausdruck seiner psychischen Existenz manifestierte. Die suggestive Ausstrahlung ihrer weiblichen Skulpturen mit dem zeitlos archaischen Lächeln, der ungezwungenen wie natürlich anmutenden Bewegung und Gestik gründen in einer kreatürlichen wie kontemplativ-symbiotischen Selbstwahrnehmung, deren metaphysische Dimensionen ihrem gesamten Schaffen eigen sind. Die andere leidvolle Seite des menschlichen Lebens, Endlichkeit, Mangel an Vollkommenheit, Krankheit, Krieg und Tod formte sie zu eindringlichen Skulpturen der Mahnung, der Barmherzigkeit, des Kreuzes und des Kreuzweges.

 

Im Spannungsbogen von plastischer Reduktion und expressiver Geste wurden Ausdrucksmöglichkeiten erprobt, die an die Plastiken von Gerhard Marcks (1889-1981), Ernst Barlach (1870-1938) und Käthe Kollwitz (1867-1945) erinnern. In dieser Tradition wird sie auch zu einer der gefragten Künstlerinnen beider christlichen Kirchen, vor allem der katholischen, in der eine zunehmend durch das zweite vatikanische Konzil geprägte Generation sich zwar einer tradierten Bildersprache vergewisserte, zugleich den Wunsch hegte nach zeitgenössischer religiöser und ästhetischer Sensibilisierung und Sublimierung.

 

Mit ihrer präzisen Beobachtung, gepaart mit scharfem Intellekt und psychologischem Gespür erwarb sie den Ruf einer herausragenden Porträtistin, welche im Bürgertum zahlreiche Auftraggeber fand. Den radikalen Bruch der Moderne, der sich schon vor dem Ersten Weltkrieg ankündigte und nach dem Zweiten Weltkrieg durch den nur sechs Jahre jüngeren Josef Beuys vollzogen wurde, hat sie nicht mitgetragen. Innerlich unabhängig und eigenwillig sich dem Galerie-, Ausstellungs- und Vermarktungsbetrieb und damit dem Diskurs der Gegenwartskunst verweigernd, blieb sie bis ins hohe Alter sich selbst treu und in ihrem Werk authentisch, eine wache, zugleich selbstkritisch reflektierende Zeitgenossin und frei schaffende Künstlerin.